Familie Kunke

Die aus Oberschlesien stammende jüdische Familie Norbert Kunke erwarb 1924 in Mauer die Einfamilienvilla Kroißberggasse 8, Ecke Engelsburggasse mit zwei anschließenden Bauparzellen als Garten (Kat. Nr. 711, EZ 1988, Parzellen 663/16, 663/17, und 663/18).i

Die Villa wurde 1923 von der Ein- und Mehrfamilienhäuser Baugesellschaft auf dem Areal der abgebrochenen Jägerkaserne erbaut. Im Keller bzw. Souterrain befand sich eine Hauswartwohnung mit Zimmer, Kabinett und Küche sowie Waschküche und Kellerräume, im Parterre Küche, Speisezim­mer, Salon und ein Vorraum mit Eichen-Holzstiege in den 1. Stock, dort drei Zimmer unterschiedlich­er Größe, Bad und Klosett. Alle Räume waren mit gusseisern Radiatoren einer Warmwasser-Zentral­heizung ausgestattet, in den Küchen gab es eingebaute Gasherde, im Badezimmer einen Gasauto­mat. Die Ausstattung der Räume war entsprechend der Verwendung gut. Die Parzelle mit der Villa hatte ein Ausmaß von 1320 m², die beiden Nachbarparzellen, genutzt als Obstgarten und Wiese, ein Ausmaß von 779 und 776 m².ii     Details über Hausbau u. Erwerb BG klären

Am 25. Februar 1937 kaufte Norbert Kunke noch in der Kroißbergasse das benachbarte Weingarten Grundstück mit 1140 m² (EZ 3964, Parzelle 728/2),iii das als Wiese genutzt wurde, so dass die Villa von einem ansehnlichen Garten umgeben war.
Norbert Kunke ( 21.7.1871 in Komorowitz Tschechien, 31.8.1938 in Wien) war verheiratet mit Cäcilie (Cilli, Cilla) Kunke geb. Schiffer ( 24.5.1880 Hindenburg, Preußen, 17.2.1942 deportiert). Er war Direktor des Versicherungsschutzes für österr. Konsumvereine Wien II. Praterstr. 8 und wurde offensichtlich 1.7.1934 pensioniert.iv Die Familie hatte drei Kinder Alice (Lizzi), Herta Gertrude (Trude) und Hans. Die Kinder waren talentiert und musikalisch begabt.v

Alice (Lizzi) Kunke die ältere Tochter absolviert eine Theaterschule und heiratete Kordaszewska (bisher keine weiteren Daten aufgefunden)

Herta Gertrude Kunke ( 17.4.1901 in Biala, heute Polen, 17.2.1942 deportiert) war staatlich geprüfte Sprachlehrerin und gab Unterricht in französischer Sprache. Mit Kaufvertrag vom 31. Oktober 1931 erwarb sie in Hietzing das Haus Altgasse 3 (Kat. Nr. 54, EZ 51)

Hans Kunke ( 6.12.1906 in Biala heute Polen, 30. (31.) 10.1940 in KZ Buchenwald) war der musikalisch begabteste der drei Geschwister. Er verfügte über einen außergewöhnlich schönen Bariton, spielte ausgezeichnet Klavier und be­fasste sich mit klassischer sowie mit moderner Musik. Auf Wunsch seines Vaters absolvierte er die Handelsakademie und wurde Versicherungsbeamter der Wiener Städtischen Versicherung.

Er engagierte sich in der Sozialistischen Arbeiterjugend, wurde bald deren Funktionär und prägte zunächst die Ortsgruppe Mauer (1930-1932), dann die Bezirksorganisation Liesing und den Kreis Um­gebung Wien. In der Zeit zwischen 1930 und 1934 schrieb er „Politische Revuen“ die ein überwältigender Erfolg waren. Zu bekannten Melodien wurden die Texte geändert und politischen Inhalt gegeben oder revolutionäre Gedichte wurden vertont. Die Ortsgruppe Mauer war nicht mehr in der Lage alle gewünschte Aufführungen in Niederösterreich zu bewältigen. Einstudierungen mit Mitgliedern anderer Ortsgruppen wurden notwendig.

Bei der Sozialistischen Arbeiterjugend lernte Hans Kunke auch seine künftige Frau Steffi Jelinek kennen. Sie wohnte bei ihrer Tante Flora Jelinek, Mauer Langegasse 47. Nach Volks- und Bürgerschule in Mauer absolvierte sie die Lehrerbildungsanstalt Wien I., Hegelgasse und war danach als Junglehrerin tätig. Es verband sie mit Hans Kunke nicht nur die politische Einstellung sondern auch viele gemeinsame Interessen. Von 1922 bis 1927 war sie Obmännin der sozialistischen Jugend in Mauer.vi Als junges Mädchen hatte sie Geige spielen gelernt, in einem Mandolinenorchester spielte sie Gitarre, sie übte Beethoven Sonaten und Hans Kunke begleitete sie. Sie war hoch talentiert, musikalisch vorzüglich veranlagt, Ihre große Begabung lag aber auf literarischem Gebiet. Auch nach dem Verbot aller Sozial­demokratischen Organisationen setzten beide ihre politische Tätigkeit fort, sie wurden Mitglieder des Zentralkomitees der Revolutionären Sozialistischen Jugend. Am 28. September 1934 heirateten sie und wohnten in Wien VII., Zieglergasse 46. vii Am 9. Jänner 1936 erfolgte die Verhaftung durch Staats­polizei mit nachfolgender Verurteilung. Beide kamen durch das Amnestiegesetz wieder frei.

NS –Zeit Verfolgung und Vertreibung

Das Ehepaar Hans und Stefanie Kunke geb. Jelinek wurden am 15. Mai 1938 verhaftet. Hans Kunke kam von Wien in das Konzentrationslager Dachau und von dort nach Buchenwald.viii Nach Berichten von Augenzeugen wurde er dort sehr gequält. Er musste Steine schleppen und konnte nicht mehr, er war physisch dazu nicht mehr in der Lage. Am 30.Oktober 1940 lief er Richtung Stacheldraht und wurde erschossen. Er wusste, dass die SS auf jeden Häftling schießen, die sich dorthin begaben.ix
Stephanie Kunke verblieb nach ihrer Verhaftung bis 15. Juli 1938 im Gefangenenhaus Rossauerlände. Von da kam sie in das Frauenkonzentrationslager Lichtenburg in Thüringen und Mai 1939 in das Frauen­konzentrationslager Ravensburg in Mecklenburg, wo sie Blockälteste wurde. Wegen Nichtmeldung einer strafbaren Handlung, die eine ihrer Stubenältesten verübte, bekam sie zur Strafe zwei Jahren Strafblock. Der Strafblock musste damals das Lager Ravensbrück erbauen. Schwere Steine brechen, Baumaterial aus Schiffe laden bis spät in die Nacht, Strafestehen und dann meist ohne Essen auf zwei drei Stunden ins Bett. Frühjahr 1941 kam sie aus dem Strafblock und wurde im politischen Block Blockscheiberin, Rosa Jochmann und Helene Potez waren ihre Lagergenossinnen. Im Frühjahr 1942 wurde Stephanie Jelinek zur Errichtung des Lagers Auschwitz kommandiert. Bald nach ihrer Ankunft erkrankte sie an Typhus, von dem sie sich nicht mehr erholte. Sie hatte keine Willenskraft mehr, die fürchterlichen Verhältnisse hatten ihren Lebenswillen gebrochen. Am 14. Februar 1943 starb sie.x
Norbert Kunke, Direktor i. P., war 1938 schwer krank und bedurfte ständiger Pflege. Er litt seit 1923 an Arteriosklerose, hatte sechs Schlaganfälle, war schwer beweglich und konnte sich zeitweise nur schwer verständlich machen. Sein monatliches Ruhegehalt vom Versicherungsschutz der österr. Konsumvereine betrug 460,96 RM, dazu erhielt er noch von der Angestellten Versicherung monatlich 127.68 RM.xi
Am 31. August 1938 verstarb Norbert Kunke.xii Die Villa in Mauer und den Weingarten erbten je zur Hälfte die Gattin Cilla Kunke und die Tochter Herta Gertrude Kunke.xiii    Wo ?
Cilla Kunke und Herta Gertrude Kunke mussten am 20. Oktober 1938 ihre Wohnung und ihr Haus in Mauer verlassen. Sie wohnten danach in Wien IV., Wiedner Hauptstr. 15/7 xiv. Wahrscheinlich bemühten sie sich auch, das Deutsche Reich verlassen zu können. Sicherheitsbescheide für die Reichsfluchtsteuer an Herta Gertrude Kunke wurden vom 9. Jänner 1939 und 21. April 1939 und an Cilla Kunke vom 17. April 1939 und 23. Aug. 1940 aufgefunden.xv
1942 mussten sie abermals übersiedeln. Von 16. März 1942 bis 17. Juli 1942 waren sie Wien 20., Treustr. 2/5 gemeldet.xvi Von dort sind sie „unbekannt ausgewandert“, sie mussten mit einen Deportationstransport Wien verlassen.   Details mit DÖW
Vor ihrer Deportation müssen sie noch einige Tage in Wien II. Sperlgasse 2a verbracht haben , dort verkauften sie am 3. Juli 1942 ihre Villa und Liegenschaft Kroißberggasse 8 an das Deutsche Reich, Deutsche Reichspost und am 4. Juli 1942 das benachbarte Grundstück EZ 3964 an Herrn Erwin Jellinek.xvii In der Villa befanden sich Beamtenwohnungen, auf den unbebauten Grundstücken war die Errichtung weiter Beamtenwohnhäuser geplant. Die Kaufverträge wurden der Gemeindeverwaltung des Reichsgau Wien, Abteilung H5, Preisbehörde, Gruppe Entjudung von Liegenschaften bzw. der Vermögensverkehrsstelle Wien I., Strauchgasse zur Genehmigung eingereicht. Eine solche erfolgte nicht.
Mit Einziehungserkenntnis v. 5. November 1942 verfügte die Geheime Staatspolizei, Staatspolizeileitstelle Wien die Einziehung der Liegenschaften als volks- und staatsfeindliches Vermögen zu Gunsten des Deutschen Reiches (Reichsfinanzverwaltung) xviii Das Haus und die Grundstücke in Mauer wurden danach vom Oberfinanzpräsidenten für Wien-Nieder­donau in Verwaltung genommen. Zu einer grundbücherlichen Einverleibung der Liegenschaften an des Deutschen Reich kam es nicht mehr.

Restitution nach 1945

Das Haus Kroisberggasse 8 und die Grundstücke wurde zuletzt vom Oberfinanzpräsidenten Wien Niederdonau verwaltet. Die Verwaltung ging 1945 treuhändisch auf die Finanzlandesdirektion Wien über. Rückstellungsantrag wurde bis 1958 keiner eingebracht. Der Besitz sollte einer zu errichteten Sammelstelle zufallen.     genauer

1955 wurde Frau Hertha Gertraude Kunke mit 8. Mai 1945 für Tod erklärt und Ihre ½ Liegenschaftsanteile in Mauer in einer Verlassenschaftsabhandlung des Bezirksgerichtes Liesing ihrem „Cousin“ Herrn Ernst Kunke übertragen.xix Dieser starb am 23. Mai 1952 und der Hausanteil ging aufgrund einer Verlassenschaftsabhandlung Bezirksgericht Innere Stadt und eines Erbteilungsübereinkommen zwischen seiner Gattin Berta Beatrix Kunke und Tochter 1957an die damals minderjährige Renee Kunke über.xx
Die Übername der Liegenschaftsanteile in Mauer von der Finanzlandesdirektion Wien, NÖ u. Burgenland war mit erblichen rechtlichen Problemen verbunden. Die Übergabe erfolgte schließlich am 17. Nov. 1958 an Berta Beatrix Kunke, Mutter und Vormund von Renee Kunke.xxi

Vorwürfe und Untersuchungen über unberechtigte Erbansprüche begannen. Genauer  

Auf den Anteilen der Renee Kunke wurde Juni 1974 im Grundbuch KG Mauer die »Heimfallsklage« angemerkt. Vermutlich nach einem Vergleich, ging der ½ Anteil der Renee Kunke an der Villa und Liegenschaft Kroisberggasse 8 und dem benachbarten Grundstücks mit einem »Kaufvertrag und Mietrechtsauflösungsvertrag« von 3. Dezember 1976 an die Republik Österreich über. Wobei etwa ¾ des genannten Kaupreises durch Aufrechnung des beanspruchten Heimfallsrechtes getilgt wurde und etwa ¼ für Tilgung von Lasten und Beendigung des Wohnrechtes von Berta Beatrix Kunke vorgesehen waren.xxii
Für den Besitz der Cilla Kunke wurde weder eine Rückstellung noch Erbansprüche geltend gemacht. Mit Beschluss des Bezirksgericht Liesing vom 24.2.1977 wurden die Anteile der Cilla Kunke an den der Villa Kroisberggasse 8 und den Weingarten Grundstück als Heimfallsmasse für die Republik Österreich im Grundbuch einverleibt.xxiii

 

 

i BG Liesing GB Mauer EZ 1988,

ii ÖSTA Akte

iii BG Liesing GB Mauer EZ 3964, Tgb.Zl. 1540/27 Kaufvertrag

iv ÖStA, Vermögensanmeldung Norbert Kunke, Nr. 32945

v Dr. Gerald Netzl, Liesing im Dunkeln, Lebenslauf von Hans Kunke

vi K. Wiesinger, Stephanie Kunke, geb. Jelinek

vii  Dr. Gerald Netzl, Liesing im Dunkeln, Lebenslauf von Hans Kunke u. Lebenslauf von Steffi Kunke

viii K. Wiesinger, Stephanie Kunke

ix Dr. Gerald Netzl, Liesing im Dunkeln, Lebenslauf von Hans Kunke

x Dr. Gerald Netzl, Liesing im Dunkeln, Kurze Beschreibung der Haft von Steffi Kunke
  K. Wiesinger, Stephanie Kunke

xi ÖStA, Vermögensanmeldung Norbert Kunke, Nr. 32945

xii  BG Liesing, Tgb. Zl 66/1940, Einantwortungsurkunde

xiii  BG Liesing, Tgb.Zl. 66/1940, Einantwortungsurkunde

xiv WSTLA Historische Meldeunterlagen Auskunft Herta Gertrude Kunke

xv ÖStA, Vermögensanmeldung Cäcilie Kunke Nr. 44238 und Herta Gertrude Kunke Nr. 20022

xvi WSTLA Historische Meldeunterlagen Auskunft Herta Gertrude Kunke

xvii ÖSTA Akte

xviii ÖStA

xix BG Liesing  Einantwortungsurkunde  4 A 562/55 v. 19.7.1956

xx BG Liesing  Tgb.Z. 2059/57 Einantwortungsurkunde  1 A 440/52-22 v. 8.3.1957

xxi ÖStA

xxii BG Liesing GB Mauer EZ 1988 und EZ 3964, Tgb.Zl. 398/77

xxiii BG Liesing GB Mauer EZ 1988 und EZ 3964, Tgb.Zl. 1279/77